Dienen

Zur Kulturgeschichte des Infamen

In den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts konnte Jean Fourastié die Dienstleistungsgesellschaft zur »großen Hoffnung des 20. Jahrhunderts« erklären, die mit dem Niedergang des Industriezeitalters das »Goldene Zeitalter« und den unaufhaltsamen Eintritt in die Wirtschaftsepoche der »tertiären Zivilisation« einleiten sollte. Heute ist man versucht, das Projekt der modernen Dienstleistungsgesellschaft mit ihren Service-Hotlines und Offshore-Call-Centers als eine Verkehrung der Idee des Service zu erklären. In praxi zwingt sie den Kunden dazu, seine ökonomischen und bürokratischen Transaktionen weitgehend selbst auszuführen. Die Dienstleistungsgesellschaft bezieht ihren symbolischen Kredit und ihr imaginäres Kapital jenseits bloßer Ökonomie aus einem ›beneficium servi, dem sie selbst nicht entspricht. Wie aber konnte sich aus dem seit der Antike verachteten Sklavendienst und der Gewaltgeschichte der Sklaverei ein Ethos des Dienens entwickeln, von dem die Dienstleistungsgesellschaft bis heute parasitär zehrt? Welche Umwertungen, Transformationen und Perversionen des Dienens, welche visuelle Kulturen und Ästhetiken haben dem ökonomischen Projekt der Dienstleistungsgesellschaft Rückhalt und Resonanz verschafft? Im Blickpunkt stehen die Erfindung des »servilen Menschen« (Sloterdijk) und ein Nachdenken über Existenzweisen und Lebensformen radikaler Undienlichkeit.

Abbildung:
Metallbrandeisen mit den Initialen der Eigentümer, in: Isabelle Aguet, A Pictorial History of the Slave Trade, Genf 1971, S. 45, wie gezeigt auf www.slaveryimages.org, zusammengestellt von Jerome Handler und Michael Tuite und gefördert von der Virginia Foundation for the Humanities