Dienen. Von der Sklaverei zur Dienstleistungsgesellschaft

Sommersemester 2014

In den postindustriellen Gesellschaften geht das Gespenst des Dieners um. Der Dienstleistungssektor gilt noch immer als die entscheidende Wachstums- und Beschäftigungsbranche, die jeweils die „ganze“ Gesellschaft ausrichten soll. Vor 60 Jahren konnte Jean Fourastié die Dienstleistungsgesellschaft zur „großen Hoffnung des 20. Jahrhunderts“ erklären, die mit dem Niedergang des Industriezeitalters den Eintritt in die Wirtschaftsepoche der „tertiären Zivilisation“ einleiten sollte. Heute ist man versucht, das Projekt der Dienstleistungsgesellschaft mit ihren ins Nirwana führenden Service-Hotlines und Offshore-Call-Centers als eine Perversion der Idee des Service zu erklären. In praxi zwingt sie den Kunden dazu, seine ökonomisch-bürokratischen Transaktionen weitgehend selbst auszuführen. Die Dienstleistungsgesellschaft bezieht ihren symbolischen Kredit aus einem Ethos des Dienens, dem sie selbst nicht entspricht. Im Mittelpunkt der Vorlesung steht daher die Frage nach der kultur- und ideengeschichtlichen Umwertung der Werte von Herrschen und Dienen. Wie konnte sich aus dem seit der Antike verachteten Sklavendienst ein Ethos des Dienens entwickeln, von dem die Dienstleistungsgesellschaft bis heute imaginär zehrt? Zugleich werden verschiedene organisationale Formen des Dienens und Arbeitens, Figuren des Dieners, Praktiken der Formung von Menschen zu aktiven Objekten und „beseelten Werkzeugen“, sklavische Charaktere, Modalitäten der sklavischen Treue im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit und nicht zuletzt ein Jenseits der Dienstleistung in den Blick genommen. Gibt es Lebensformen, Künste und Erfahrungen der Undienlichkeit, die sich der Dialektik von Herr- und Knecht, von Herren- und Sklavenmoral entziehen?