Das spekulative Bild

Geheimdienstliche Filme des Ministeriums für Staatssicherheit

Die Forschungsarbeit »Das spekulative Bild« beschäftigt sich mit der visuellen Logik geheimdienstlicher Überwachung und ihrer Dokumente am Beispiel des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit. Ausgehend von den Voranalysen einer Masterarbeit untersucht es ausgewählte Überwachungsfilme der Stasi in Hinblick auf ihre Präfiguration von Dissidenz sowie ihren konfliktreichen Eingang in die (Nachlass-)Archive des Geheimdienstes. Es versteht dabei die im Archiv der Stasiunterlagenbehörde (BSTU) überlieferten Observationsfilme als mehrfach determinierte Filmfragmente, die den Charakter einer reinen Überwachungsaufnahme übersteigen und Aspekte des Lehrfilms sowie der Selbstaufzeichnung und -kontrolle in sich vereinen.

Aus einer medienwissenschaftlich geprägten Perspektive trägt das Forschungsprojekt neben den ideologischen auch die technischen Entstehungsbedingungen der Filmarchivalien zusammen und thematisiert sie als Zeugnis einer historisch zu verortenden Beobachtungsarbeit, d.h. als das Werk eines spezifischen Personals.

So lässt sich aus dem zeithistorischen Hintergrund der Aufnahmen ein Wandel des Abwehrschemas der Ministeriums für Staatssicherheit von einer offenen Bestrafung distinkter Feindesgruppen hin zu einer möglichst verdeckten Ahndung abweichender Verhaltensweisen im Allgemeinen herausarbeiten. Diese Verschiebung bildete die Grundlage für eine umfassende Absicherung der sozialistischen Gesellschaft vor vermeintlichen Feinden im Mittel einer bürokratisierten Protokollierung und Unterbindung nonkonformen Verhaltens zur Vorsorge krimineller Handlungen im Geheimen. Kennzeichen dieses Sicherheitsdispositivs waren neben einer Theorie visuell wahrnehmbarer Zeichen verdächtiger Handlungen eine Methodik zur optischen Aufzeichnung von Dissidenz im Bild.

Die wesentlichen Schwerpunkte des Forschungsprojektes liegen folglich in der Analyse der institutionellen Organisationsweisen des eigens hierfür bestellten Beobachtungspersonals der Hauptabteilung VIII und in der Nachzeichnung der epistemologischen Grundlagen seines kalibrierten Sehens in Einbezug historischer Schulungsliteratur aus dem Aus- und Fortbildungswesen des Ministeriums für Staatsicherheit.

Der verdächtigende Blick der Beobachter korrelierte dabei stets mit den Blicken anderer. So lässt sich eine Topologie der verdächtigen und verdächtigenden Blicke aus der Schulungsliteratur, den Ermittlungsakten sowie -filmen ablesen. Sie entzündete ihr Interesse an herausgehobenen Orten, wie beispielsweise den Interhotels und wurde dort unter technischer Zuhilfenahme nicht nur zur Verfolgung vermeintlicher Straftaten sondern auch zur Vorhersage von Gefahrenpotentialen technisch inszeniert.

Abbildung:
Kamerablick einer männlichen Person an einem Schreibtisch sitzend, Filmstill, BStU, MfS BV Gera/Fi/12, Minute 01:15.

Dazugehörige Veröffentlichungen:
Aufsatz »Die Figur des Beobachters im Ministerium für Staatssicherheit«, in: Medien der Bürokratie (Archiv für Mediengeschichte, Band 16). Herausgegeben von Friedrich Balke, Joseph Vogl und Bernhard Siegert, München: Fink 2016, S. 77–86.

Dazugehörige Vorträge:
Vortrag »Bildspekulation. Zur medialen Mimikry des feindlichen Blicks in den Ermittlungsfilmen der Stasi« im Forschungskolloquium »Das Technische Bild« des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte und dem Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, 22. Mai 2017, Berlin

Vortrag »Protokollierte Wahrnehmung – Die Beobachtungsberichte des Ministeriums für Staatssicherheit« im Rahmen des Workshops: Zu Protokoll. Theoriegeschichte und Ideenpolitik einer übersehenen Gattung, 27. und 28. April 2017, ZfL Berlin