Sadismus mit und ohne de Sade

Vorlesung und Seminar im Sommersemester 2021

Sadismus ist eine Gewaltpraxis, ein pornografisches Genre und eine Möglichkeit im Gebrauch der Lüste. Die »Plantagen-Pornografie« (Marcus Wood) des 18. Jahrhunderts präsentierte keine fingierte Folter, sondern koloniale Szenen realer Foltergewalt. Sade war über die Zustände in den französischen Kolonien nicht nur erstaunlich gut unterrichtet, er hat die koloniale Gewaltlust auch literarisch sichtbar gemacht und in Praktiken konvertiert, die auf die Aufhebung der Sklaverei zielten. Die sexualwissenschaftliche Karriere des »Sadismus« stellte demgegenüber eine Entpolitisierung des Unternehmens Sades dar und war mit der Erfindung des »anormalen Individuums« verbunden. Für Überlebende des Holocaust wurde »Sadismus« zur Signatur der Vernichtungsmethoden des NS-Regimes (Vladimir Jankélévitch, Jean Améry u.a.). Über den Umweg Nietzsches und Freuds und die Wiederentdeckung des »göttlichen Marquis« durch Guillaume Apollinaire rückte Sade seit den 1940er Jahren zugleich in den Brennpunkt einer Debatte, in der er »zum Nächsten« (Pierre Klossowski) und zum »Menschen in der Revolte« (Albert Camus) erklärt wurde. Die Vorlesung widmet sich der Frage: Wie schreibt man eine Affekt-, Pornografie-, Körper- und Theoriegeschichte der alten Grausamkeit und der neuen Gewaltlust?