Bürokratisierte Wahrnehmung

Die Figur des Beobachters im Ministerium für Staatssicherheit, in: Medien der Bürokratie (Archiv für Mediengeschichte, Band 16). Herausgegeben von Friedrich Balke, Joseph Vogl und Bernhard Siegert, München: Fink 2016, 77-86.

In der Geschichte der Geheimdienste steht das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) exemplarisch für eine weit verzweigte Sicherheitsbürokratie. Setzt man eine Analyse seiner Überwachungs- und Kontrollmechanismen an der Logik einer formalisierten Beobachtung an, so hat man es mit geheimdienstlichen Verfahren zur Errichtung einer bürokratischen und gleichsam entgrenzten Wahrnehmungssituation zu tun.
Dieser Beitrag widmet sich dem spezifischen Aufschreibesystem der Wahrnehmung in der Beobachtungspraxis des Geheimdienstes. Die Rigorosität seiner Bürokratie der Beobachtung lässt sich im Speziellen entlang der Figur des  »Beobachters« erzählen, dessen Tätigkeitsfeld gemeinhin als Topos der wissenshistorischen Literatur bekannt ist,3 an den hier jedoch als Angestellter eines militärisch geführten Ministeriums das geheimdienstliche Sehen delegiert wurde. Die im Archiv der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) überlieferte Ausbildungsliteratur der Beobachter ermöglicht Einsicht in die normative Disziplinierung und bürokratische Verschaltung des in das Feld entsandten Personals, welches seine Wahrnehmungsdaten in den Informationskreislauf des Geheimdienstes einspeisen sollte, ohne jedoch selbst als Spur in die Akten einzugehen. Auch die Beobachter trifft die panoptische Situation der arkanen Wissensarchitektur. Das Gebot der Konspiration verlangt ihre strukturelle Unsichtbarkeit vor dem vermeintlichen Feind sowohl als auch innerhalb der Sicherheitsorgane und ist entsprechend nur durch eine Bürokratisierung ihres Verhaltens, Auftauchens und Verschwindens zu steuern.